Dieser Artikel von Angelika Thaysen  erschien zuerst in der Zeitschrift für Transaktionsanalyse, Heft 4 – 2016

Trauerbegleitung ist ein relativ neues Versorgungsangebot, das im Gefolge der sich in den letzten 30 Jahren rapide vergrößernden Hospiz- und Palliativbewegung als notwendig erkannt, gesehen und entwickelt wurde. Da sie zunehmend auch außerhalb der Hospizlandschaft angeboten wird und sich Berührungen, Überschneidungen und Zusammenarbeit mit anderen Beratungsangeboten entwickeln, möchte ich hier über den aktuellen Stand und zukünftige Herausforderungen berichten.

Trauer ist ein Gefühl, das durch Verluste ausgelöst wird. Diese können abgesehen von dem Tod eines nahestehenden Menschen auch andere mehr oder weniger gravierende Verluste sein wie die Trennung vom Lebensgefährten, der –gefährtin, das Ende von Freundschaften, der Verlust des Arbeitsplatzes oder ein Umzug. Unwiederbringlich gehen auch unsere Jugend, die Unversehrtheit unseres Körpers und damit unsere körperliche Stärke dahin.

Anfänge sind schön und leicht, getragen von Hoffnung, begleitet von guten Wünschen und Segnungen aller Art. Abschiede fallen schwer, ziehen mitunter in die Tiefe, vertiefen und verdichten Leben durch Erfahrung und Reife.

Trauer ist keine Krankheit, sie macht in der Regel auch nicht krank, sondern sie unterstützt und hilft, Verluste in unser Leben zu integrieren, wenn sie der Individualität des Einzelnen gemäß gelebt werden kann. Damit kann sie u.U. Krankheiten verhindern.

Wie sehr sich die Professionalisierung der Trauerbegleitung in den letzten 20 Jahre entwickelt hat, lässt sich am folgenden Rückblick ermessen:

Als ich in den späten 1990iger Jahren beim Diakonischen Werk in Rendsburg auf eine Möglichkeit stieß, mehr über Trauer zu lernen, war Trauer noch kein Thema bzw. allenfalls ein Nischenthema in der deutschen Beratungslandschaft. Es gab noch keine Qualitätskriterien und – wie bis heute – keine geschützte Berufsbezeichnung. Jeder darf sich Trauerbegleiter nennen, der sich irgendwie dazu berufen fühlt. Unsere Ausbilder waren Pastoren und Psychotherapeutinnen, die eine Zusatzqualifikation bei Jorgos Canacacis, einem Psychologen und Psychotherapeuten aus Essen erworben hatten.

Wenn eine Teilnehmende aus unserer damaligen Ausbildungsgruppe ein neues Buch zu den Themen Sterben und Trauer entdeckte, wurde es gleich mitgebracht und mit Spannung und Neugier von allen aufgegriffen.
Heute haben Sie die Qual der Wahl unter endlosen Titeln. Von diesen sind aber sicher 90% klassische Begleitbücher, also für Betroffene und Angehörige geschrieben, die ihre Lebenssituation begreifen wollen und Unterstützung suchen. Fast alle Titel enthalten auch kurze theoretische Einführungen, die in der Regel die klassischen Phasenmodelle und manchmal auch Prozesse beschreiben. Ich habe versucht, am Ende dieses Textes eine – sicher nicht vollständige – Liste von Büchern, Zeitschriften und web-links zusammenzustellen, die sich mehr mit Trauertheorie, Trauerforschung und Weiterentwicklungen befassen.

Mitte der 1950iger Jahre begannen Menschen, sich professionell mit Sterben und Trauer zu befassen. Ihre Erkenntnisse mündeten schließlich in die Hospizbewegung, die von Cicely Saunders in England gegründet wurde. Sie eröffnete 1967 auch das erste stationäre Hospiz weltweit, das St. Christopher Hospice in London. Etwas später entwickelte in den USA Elisabeth Kübler Ross eine Theorie der Sterbephasen, die viele Menschen bei schwerer, unheilbarer Krankheit durchlaufen. In Europa beschrieb 1982 erstmals Verena Kast in Anlehnung an Kübler-Ross Phasen des Trauererlebens – bis heute ein Klassiker und Bestseller (in 38. Auflage !).

Heute ist Trauerbegleitung selbstverständliches kostenloses Angebot bei fast allen Hospizdiensten, ist aber auch bei vielen Beerdigungsunternehmen im „Gesamtpaket Bestattung“ eingeschlossen und liegt in den Händen von psychotherapeutisch oder seelsorgerlich arbeitenden Menschen und ist konfessionsunabhängig.

Allerdings nehmen auch viele Menschen die Trauerbegleitung von Hospizeinrichtungen in Anspruch, deren Angehörige völlig unerwartet und plötzlich gestorben sind, weil sie einen Herzinfarkt hatten, tödlich verunglückten oder sich suizidierten.

Natürlich gibt es auch freiberufliche Anbieter von Trauerbegleitung, die, wenn sie seriös sind, vergleichbare Qualifikationen haben wie die in den obengenannten Einrichtungen arbeitenden Personen. Wenn bei der Beraterin eine psychotherapeutische Qualifikation vorliegt, kann Trauerbegleitung wie eine Psychotherapie abgerechnet werden. Die Verordnung behilft sich heute in der Regel mit den Hilfsdiagnosen „Depression“ oder „Anpassungsstörung“. Siehe hier meine Ausführungen zur Neufassung des ICD 11 in 2018 weiter unten.

Das Bewusstsein für Abschieds- und Trauerprozesse als natürliche und wichtige Bestandteile eines Lebens wächst in allen Disziplinen. Begrifflichkeiten aus den Trauerprozessen werden zunehmend auf alle Bereiche des Lebens einer einzelnen Person, aber auch auf Staaten, Institutionen und in der Wirtschaft angewandt. So schreibt z.B. im aktuellen „Leidfaden“, einem Fachmagazin für Krisen, Leid und Trauer, Prof. A. Belke über „Depression und Trauer als Folge von Wirtschafts- und Finanzkrisen am Beispiel Griechenlands“ (2016).

Dieses erstaunt bei einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung, die sich mehr und mehr der Jugend, dem Erfolg und der Gesundheit zuwendet und gleichzeitig unangenehme Themen wie Krankheit, Alter und Tod ausblendet. Niemand will Trauer und Leid fühlen, geschweige denn sich ihnen bewusst annähern. Pflegende und Ärzte sind bei infauster (aussichtsloser) Prognose ebenso entsetzt wie die Kranken und deren Angehörige. Oft fehlt der Mut, diese Tatsachen zu benennen – was zu sinnloser Diagnostik und endlosen Therapieversuchen verleitet, die das Leid der Menschen eher vergrößern als es zu mindern. Die Palliative Care, eine auf Linderung ausgerichtete Pflege und Medizin, findet allmählich mehr und mehr Anerkennung innerhalb und außerhalb der Kliniken und verfolgt das Ziel, lebensverkürzt erkrankten Menschen weiterhin Lebensqualität und Trost am Ende des Lebens zu spenden. Die Erkenntnis, dass die Angehörigen wichtige Unterstützer für alle sein können, wenn sie in ihren Abschieds- und Trauerprozessen gesehen werden, reift – und stärkt damit die Gegenbewegungen zum allgegenwärtigen Machbarkeitswahn.

Trauer ist nicht das Problem, sondern die Lösung.

Was ist das Ziel von Trauerbegleitung und wie lässt sich die Wirksamkeit nachweisen?

Unstrittig ist, dass eine Begleitung immer das Ziel hat, durch Trauer beschwerte Menschen auf dem Weg zu wieder mehr Leichtigkeit, Lebenstüchtigkeit und Lebensfreude zu begleiten.

Während Freud noch für das Ende eines Trauerprozesses das sogenannte „Loslassen“ des Verstorbenen als Bedingung für eine Hinwendung zu neuen Lebensimpulsen forderte (nach Müller/Willmann, 2016, S.68ff), ist heute das Ziel, „eine dauerhafte Verbindung zu dem Verstorbenen inmitten eines Aufbruchs in ein neues Leben zu finden“, bzw. ihn oder sie zu einer Art innerer Repräsentanz zu entwickeln. Fortgesetzte Beziehung ist nicht nur möglich, sondern ausdrücklich gewünscht (Kachler und Bowlby, nach Müller/Willmann, 2016, S.68ff).

Die Wirkung von Trauerbegleitung ist schwer nachzuweisen. Welchen Anteil hat die Zeit (die ja alle Wunden heilt…), welchen das soziale Umfeld, welchen die Begleitung, wo überschneiden sich die Einflüsse? Es gibt fast ausschließlich Studien aus dem englischsprachigen Raum. Forschung findet in Deutschland dagegen kaum statt. Weshalb dies so ist, lässt sich nur vermuten – u.a. könnte ein Zusammenhang mit unserer Kriegsvergangenheit bestehen, oder das Thema ist schlicht nicht interessant genug, um damit in der Forschung erfolgreich sein zu können. „Das Buch ‚Die Unfähigkeit zu trauern’ von Alexander und Margarete Mitscherlich war über Jahrzehnte die einzige wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Trauer im Deutschland der Nachkriegszeit, welche den Gemütszustand und die Weisen derartiger‚ (un-)verarbeiteter Trauer beleuchtet“ (Metz, Christian, 2011, http://www.psychotherapie-wissenschaft.info/index.php/psy-wis/article/view/39/178).

Die Autorin und Trauerbegleiterin Chris Paul aus Bonn brachte mit ihrem Buch „Neue Wege in der Trauer- und Sterbebegleitung“ Ergebnisse englischsprachiger Forschung bereits Anfang 2000 nach Deutschland ebenso wie jetzt aktuell Müller/Willmann mit „Trauer: Forschung und Praxis verbinden“ (2016).

2010 führte Prof. Dr. Michael Wissert unter Beteiligung und Unterstützung vieler Verbände bundesweit eine Studie über Wirksamkeit von Trauerbegleitung durch. Das Ergebnis ist m. E. leider recht aussageschwach (Projekt TrauErleben: „Wirkung von Trauerbegleitung im Rahmen der emotionalen und sozialen Bewältigung von tiefgehenden und komplizierten Trauerprozessen“, www.projekt-trauerleben.de, Weingarten 2010.)

Auch der von vielen Fachleuten vermutete Zusammenhang zwischen nicht gelebter Trauer und psychosomatischer Erkrankung ist, obwohl meiner Erfahrung nach schlüssig, leider empirisch noch nicht belegt. Dieses wäre insbesondere bedeutsam für eine Anerkennung von Trauerbegleitung durch die Krankenkassen als eine präventive und damit finanzierte Maßnahme.

Qualifikationen

Es gibt durch die Arbeit vieler einzelner engagierter Personen aus dem Hospizbereich, die die Konzepte der Kurse für Hospizmitarbeiterinnen erweiterten und anpassten, sowie durch Therapeutinnen und Psychologen gut fundierte Grundlagen für die Qualifikation von Trauerbegleitern. Der Bundesverband Trauerbegleitung erarbeitete die sogenannte große Basisqualifikation mit einem Stundenumfang von 200 Stunden verteilt über 1- 2 Jahre, Praxiszeiten unter Supervision und je nach Anbieter auch einer Abschlussarbeit.

Erstaunlich gering erscheint das Basiswissen bezüglich Trauer und den Einflüssen eines unverarbeiteten Trauererlebens bei Psychotherapeuten – wenn nicht ein spezielles Interesse zu einem privaten Weiterstudium führte. Ich zitiere die Homepage des Bundesverbandes Trauerbegleitung: “Nach den Erfahrungen der im BVT zusammengeschlossenen Ausbilder beklagen Trauernde immer wieder, dass sie sich mit ihren Anliegen in Psychotherapien nicht gut aufgehoben fühlen. Die Weiterbildung „Trauerprozesse im Rahmen von Psychotherapie“ ist ein Angebot, um PsychotherapeutInnen Informationen zu vermitteln, mögliche Berührungsängste dem Thema Trauer gegenüber abbauen zu helfen und im Rahmen der psychotherapeutischen Ausbildung eventuell ausgesparte Selbsterfahrungsprozesse zum Thema zu ermöglichen.“

Eine gute Zusammenarbeit zwischen Anbietern von Trauerbegleitung und Psychotherapeuten entwickelt sich.

Therapeuten erkennen und bearbeiten mit ihren Klienten Themen, die an alte oder frische Trauer rühren und empfehlen parallel zur Therapie Trauereinzelsitzungen oder die Teilnahme an einer Gruppe. Umgekehrt stoßen Begleiterinnen bisweilen an die Grenzen zur Therapie und zeigen diese auch den Klienten auf: Wenn z.B. ein tiefer liegender Mutter-Tochter Konflikt oder eine traumatisierende Situation berührt wird, sind diese Themen mit Psychotherapeuten zu bearbeiten. Die Grenzen der eigenen Profession wahrzunehmen, ist Teil der erworbenen Qualität.

Begriffsklärungen:
Von einer sogenannten „normalen Trauer“ sprechen wir, wenn die Gefühle in passendem Maß gelebt werden können, ein gutes soziales Netz auch nach längerer Zeit noch besteht, das den trauernden Menschen aushält und tröstet, und wenn die Intensität des Gefühlserlebens nach einer gewissen Zeitspanne nachlässt. Der trauernde Mensch empfindet wieder Lebensfreude und entwickelt neue Perspektiven für sich.

Wenn es Raum, Zeit und Erlaubnis gibt, Gefühle individuell zu leben, kann sich Trauer als heilsamer Prozess entfalten.

Komplizierte oder erschwerte Trauer kann entstehen, wenn die Art des Todes oder der Übermittlung der Todesnachricht traumatisierende Aspekte enthält wie z.B. nach Suizid, Unfällen, aber auch nach langer Sterbezeit. Kompliziert wird ein Trauerverlauf u. U. auch durch belastete oder ungeklärte Beziehungen zum Verstorbenen.

Verlängerte oder anhaltende Trauer sind Begriffe, die ich nicht gerne verwende, da allein die angebliche Überschreitung einer willkürlich gesetzten Zeitgrenze noch nichts über die Besonderheit eines Trauerprozesses aussagt. Oft werden diese im Zusammenhang mit komplizierter Trauer genannt. Heute setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass Trauer meistens nicht ganz vergeht. Trauer als Ausdruck unserer Liebe zu dem Verstorbenen darf als wesentlicher Teil unseres Lebens immer bei uns bleiben, solange sie nicht Lebensfreude und -intensität dämpft.

Trauerarbeit, Trauerverarbeitung, Trauerbewältigung sind verschiedene Worte, die letztendlich alle den gleichen Prozess beschreiben. Auch noch so sanfte Begrifflichkeiten können jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass der Trauerprozess schmerzt, schwer und erschütternd ist.

Trauerberatung und Trauerbegleitung werden häufig synonym benutzt. Beratung meint m. E. eher das Einzelgespräch, Begleitung findet meist in Gruppen statt, auch in spezialisierten, wie z. B. für verwaiste Eltern, Suizidangehörige oder jung verwitwete Menschen.

Trauertherapie ist bei komplizierter Trauer angezeigt, wenn Skriptanteile und unerledigte oder unbewältigte Beziehungserfahrungen eine Rolle spielen. Dabei sind dann eher Psychotherapeuten – eventuell mit Zusatzqualifikation Trauer – gefragt.

Disfranchiesed Grief, in Deutschland mit aberkannter oder nicht gesehener Trauer übersetzt, bezeichnet eine Be- bzw. Abwertung der Trauer durch die Gesellschaft. Menschen, die an einer aberkannten Trauer leiden, trauen sich häufig nicht, eine Trauergruppe oder Trauerberatung aufzusuchen. Es kann auch geschehen, dass Scham und Schuldgefühle sie dazu verleiten, die Trauer und alles, was damit zusammenhängt, zu verdrängen. Menschen, die in geheimen oder vergangenen Liebesbeziehungen zu einem Verstorbenen standen, wird das Recht auf Trauer versagt, bzw. sie trauen sich aus Furcht vor Diskriminierung nicht, sich zu äußern. Leider trifft dies auch immer wieder noch auf homosexuelle Partnerschaften zu. Die Trauer von Pflegenden, Betreuungsteams und Ärzten um ihre Patienten wird häufig ebenso abgewertet wie auch die um geliebte Haustiere. Abwertung findet auch statt, wenn jungen Eltern nach einer Frühgeburt die Trauer mit dem Hinweis auf mögliche neue Schwangerschaften klein geredet wird. Auch wenn ein Partner oder Elternteil sehr alt geworden ist, wird er dennoch vermisst, und Bagatellisierung verletzt die Angehörigen. Tode durch Suizid, durch eine stigmatisierende Krankheit wie z. B. Aids oder durch Drogen sind scham- und schuldbesetzt und werden u. U. verschwiegen.

Beraterinnen, die das Thema Trauer auch dann gegenwärtig haben, wenn vordergründig ein anderes Anliegen genannt wird, können durch die Einbeziehung der Verstorbenen und der Trauer um diese den beraterischen Prozess erweitern und vertiefen. So beschreibt Doris Burke in ihrem Vortrag „Du bist gegangen und ich habe vergessen, was ich mit dir begraben habe“ wie das Forschen nach – möglicherweise – alten, ausgeblendeten Trauerverläufen hilfreiche Aspekte zutage fördert. (Burke in „Tod und Teufel, Beiträge zum Transaktionsanalytischen Symposion“, Stuttgart 2002, Seite 46ff)

Trauernde Kinder und Jugendliche

Dass auch Kinder trauern, wurde lange Zeit nicht wahrgenommen. Ihnen wurde und wird bis heute eine gewisse Robustheit und Unempfindlichkeit nachgesagt. Werden Kinder in Schule oder Elternhaus auffällig im Sinne von nachlassenden Leistungen, Störungen oder Rückzug, wird nur in seltenen Fällen eine ungelebte Trauer dahinter vermutet und abgefragt. Kinder und Jugendliche trauern anders, sie leben schnelle Wechsel zwischen Trauer und Unbeschwertheit und sie brauchen mehr noch als Erwachsene trauerfreie Räume. Das Bedürfnis zu trauern, sich zu erinnern und eine neue Sicherheit in ihrem erschütterten Leben zu finden, wird dadurch häufig nicht gesehen – zumal die Erwachsenen sie von Schmerz und Kummer der Welt fernhalten wollen. (Petra Rechenberg-Winter/Esther Fischinger, Kursbuch Systemische Trauerbegleitung, 2010, S.73ff). Heute bieten alle ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienste für diese Zielgruppe Gruppen an, in denen Trauer altersgemäß gelebt werden kann.

Modelle des Trauerprozesses

Phasenmodelle (Bowlby, Kast, Smeding) beschreiben einen regelhaften Ablauf der Trauer. Gemeinsam ist allen eine erste Phase, die von den Theoretikern ähnlich bezeichnet wird, z.B. als Schock und Vermeidung oder als Nicht-Wahrhaben-Wollen. Es folgt die Phase der aufbrechenden Emotionen, die dritte Phase nennt Kast die des Suchens und sich Findens. Gemeinsam ist allen auch eine abschließende Phase, z.B. bezeichnet als Phase der Wiederherstellung, Genesung (Bowlby). Diese Phasen laufen immer in gleicher Folge ab. Heute ist es allgemein anerkannt, dass diese Modelle nur noch historischen Wert haben, da einige Prozesse zwar so geschehen können, aber selten in linearer Form, sondern spiralförmig, rotierend, auslassend, wiederholend. (Müller/Willmann, 2016, S.41)
Modell der Traueraufgaben nach William Worden:

Die Wirklichkeit des Todes und des Verlustes begreifen
1. Den Trauerschmerz und die Vielfalt der Gefühle durchleben
2. Sich an eine veränderte Umwelt anpassen
3. Dem Toten einen neuen Platz zuweisen

Diese Aufgaben können linear erfüllt werden. Auslassungen, das Überspringen eines Aspekts oder Zurückfallen in eine frühere Phase sind der Individualität des Einzelnen angepasst zu betrachten. (Paul, Schuld I Macht I Sinn, 2011, S.85)

Das Modell von Worden um zwei weitere Aufgaben ergänzt hat Chris Paul (Schuld I Macht I Sinn, 2011, S.85ff)

  1. Überleben
    2. Die Wirklichkeit des Todes und des Verlustes begreifen
    3. Den Trauerschmerz und die Vielfalt der Gefühle durchleben
    4. Sich an eine veränderte Umwelt anpassen
    5. Dem Toten einen neuen Platz zuweisen
    6. Sinn geben und Bedeutung rekonstruieren

Die Aufgabe „Überleben“ ist der Traumatherapie entlehnt und meint alle stabilisierenden Maßnahmen als Voraussetzung für die Fähigkeit, alle anderen Aufgaben zu leben.

„Sinn geben und Bedeutung rekonstruieren“ meint das Integrieren des Verlustes in die eigene Biografie, die – eventuelle – Neubewertung gelebten Lebens und die Neuausrichtung der Ziele. (Paul 2011, S.85ff)

Das duale Prozessmodell

wurde von den holländischen Forschern Margaret Stroebe und Henk Schut Ende des letzten Jahrhunderts entwickelt und wird in Deutschland seit ca. zehn Jahren zunehmend bekannter. Es verbindet Erkenntnisse aus den obigen Modellen, die eine Auseinandersetzung mit den Verlusten fordern, mit einer bewussten Erlaubnis auf Zeiten des Verdrängens. Es gibt Zeiten der Verlustorientierung (sich erinnern, beklagen) wie auch Zeiten der Wiederherstellungsorientierung (Auseinandersetzung mit veränderter finanzieller und sozialer Situation, neuen Rollen und Freiheiten). Das Oszillieren zwischen den beiden Orientierungen lässt einen dynamischer Prozess entstehen. Auszeiten von Trauer sind ausdrücklich als leidmindernd benannt. Die Trauernde selbst entscheidet, welche Orientierung sie gerade als für sich hilfreich empfindet. (Müller/Willmann 2016, S.41)

Verbindung mit Theorien und Modellen aus Therapie und Beratung:

Die Grundhaltungen und -überzeugungen in der Trauerberatung entsprechen dem humanistischen Menschenbild. Je nach Vorbildung der Begleitenden werden Verbindungen von verschiedenen Trauermodellen mit Modellen aus Beratung und Therapie hergestellt. So bedarf Trauer als höchst individueller Prozess natürlich eines beziehungsorientierten Ansatzes. Transaktionsanalyse ist eine auch beziehungsorientierte Theorie und Methode.
Ein Wissen über die Bindungstheorie (Bowlby 1957) unterstützt Beratende bei der Einschätzung, ob weiterführende Trauertherapie notwendig wird.

Genderaspekte

Die Zeitschrift Leidfaden brachte 2013 das Schwerpunktthema „Männer trauern anders“ heraus. Die Unterschiedlichkeit der Geschlechter im Wahrnehmen und Leben von Trauergefühlen kann eine Trauergruppe durchaus bereichern. Es gibt vereinzelt das Angebot von Trauergruppen ausschließlich für Männer. Erfahrungswerte besagen, dass die Gesprächsinhalte und auch -stile sehr unterschiedlich sind zu denen, die in reinen Frauengruppen vorherrschen. Leider fehlt uns auch hier empirische Wissenschaft, die helfen könnte, die Sinnhaftigkeit von getrenntgeschlechtlichen Gruppen zu belegen.

Transaktionsanalyse

Viele Modelle der TA lassen sich zum Verständnis und zur Begleitung von Trauernden nutzen. Besonders hervorzuheben ist das Ichzustandsmodell als Hilfe für die Beraterin wie für den Klienten, Gefühle und Verhalten in unterschiedlichen Situationen von Trauer zu verstehen. Vertragsarbeit als Basis jeder Begleitung hilft, sich immer wieder neu zu positionieren: Was ist jetzt wichtig für mich? Was brauche ich und was aber auch nicht? Das berührt die Anerkennung der Autonomie des Klienten. Die trauernden Menschen sind Führende ihres Prozesses. Die Antreibertheorie hilft bei dem Verständnis des eigenen Trauerstils: welchen alten Grund- und Glaubenssätzen folge ich und wobei unterstützen oder hindern sie mich?

Systemischer Ansatz

In allen qualifizierten Trauerangeboten hat sich der systemische Ansatz etabliert. Kaum ein Mensch trauert allein, kaum ein Mensch wird nur von einer Person betrauert. Die unterschiedlichen Rollen im System eines verstorbenen Menschen bedingen verschiedene Intensitäten und Bezüge. Eltern-Kind-Beziehungen entwickeln sich neu, Paarbeziehungen sind durch Unwissen über die Situation des anderen von Missverständnissen bedroht. In der TA sind insbesondere die erweiternden Ausführungen von Bernd Schmid hilfreich: inwieweit verändern sich familiäre Rollenbesetzungen durch den Tod eines wichtigen Familienmitglieds? Wie verändert sich die Realität? Petra Rechenberg-Winter und Esther Fischinger (2010) haben die Besonderheiten systemischer Arbeit in Trauerprozessen beschrieben.

Traumaheilung

Auf den ersten Blick erscheinen die unterschiedlichen Ansätze von „Trauer erwärmen“ und „Trauma stabilisieren“ unvereinbar. „Wo bleibt die Trauer der Traumatisierten?“ ist ein viel geäußerter Satz. Chris Paul versucht die Themen einander anzunähern. Mit ihrer ersten Traueraufgabe: „Überleben“ beschreibt sie die Notwendigkeit von Stabilisierung auch in der Trauer. Früher kochten die Nachbarn Suppe und kümmerten sich um die Kinder, Familien rückten zusammen, um einander zu stützen und zu stärken. Im Falle einer echten Traumatisierung durch dramatische Todesumstände oder entsprechenden Einwirkungen im Vorfeld des Todes ist auf alle Fälle möglichst bald über die „erste Hilfe“ der Umgebung hinaus eine Trauer-/Traumatherapie durch Fachleute erforderlich – auch um die Entwicklung einer Posttraumatischen Belastungsstörung zu verhindern.

Resilienz

Ein sehr moderner, aber oft auch sehr missverständlich genutzter Fachbegriff ist der der Resilienz. Ursprünglich aus der Materialprüfung kommend, fand der Begriff Einzug in die Psychologie Ende des letzten Jahrhunderts (Müller/Willmann, 2016, S.93ff) und benennt im Gegensatz zur Vulnerabilität ein seelische Robustheit oder psychische Elastizität. In die Trauerforschung führte der amerikanischen Psychologe A. Bonnano (Loss,Trauma and Human Resillience, 2004) die Resilienz ein. Er untersuchte die Auswirkungen potentiell erschütternder Verlustereignisse bei Erwachsenen und nannte diese resilient, wenn kein oder nur wenig Beeinträchtigung längerfristig die Alltags- und Lebenstüchtigkeit verringerte. Soweit bis heute bekannt, lässt sich Resilienz nicht trainieren. Derartige Kurse können im Gegenteil dazu führen, dass von Teilnehmern ein besonders resilientes Verhalten erwartet wird und sie noch mehr unter ihrem unterstellten Unvermögen leiden. Resilienz im Trauerverhalten wird durch viele verschiedene Faktoren begünstigt: besonders hervorzuheben sind dabei eine allgemein positive Weltanschauung und eine akzeptierende Haltung dem Tod gegenüber; ebenso ein Ruhen in der eigenen Identität, das auch durch das Fehlen einer wichtigen und geliebten Bezugsperson nicht erschüttert wird.
<Positive Gefühle, verbunden mit Dankbarkeit und Liebe, und positive Erinnerungen an den Verstorbenen wie an das eigene Leben stärken den Menschen und verkürzen die Trauer.> Hier bestätigt sich wieder die Annahme, dass Trauer sehr individuell verläuft und es keinerlei Bewertungen oder Vorgaben von außen geben kann.

Zukünftige Entwicklungen und Herausforderungen

ICD 11

Vor ca. zwei Jahren ging ein Aufschrei durch die Szene der Trauerbegleiter: Der amerikanische Diagnoseschlüssel DSM (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) beschrieb Trauer als einen Zustand, der nach zwei Wochen zumindest soweit befriedet sein sollte, dass keine „übergroße Sehnsucht“, kein Leiden mehr bestehen sollte, anderenfalls wäre von einer „erschwerten, bzw. komplizierten Trauer zu sprechen und eine entsprechende Diagnose sei zu stellen, die eine Krankschreibung und Verordnung von Psychopharmaka, in der Regel Antidepressiva, ermöglichen oder erfordern kann. In der für 2018 geplanten Neufassung des ICD 11 ist auch erstmals vorgesehen, Trauer als Diagnose zu erfassen – allerdings nicht mit der oben genannten 2-Wochen-Frist, sondern es werden 6 Monate diskutiert. Sowohl der Bundesverband Trauerbegleitung als einziger Interessenverband von qualifizierenden wie praktizierenden Trauerbegleitern in Deutschland wie auch die Fachgruppe Trauer des Deutschen Hospiz- und Palliativverbandes haben Stellungnahmen dazu erarbeitet. Problematisch als Diagnosekriterium wird vor allem der Faktor Zeit gesehen – einem „normalen Trauerverlauf“ lediglich sechs Monate zuzugestehen, scheint vielen Praktikern zu knapp.

Migration

Besondere Herausforderungen bedeuten kulturelle Unterschiede. Wie ist die Trauerkultur bei Migranten? Benötigen Geflüchtete Trauerbegleitung oder Traumatherapie und wenn ja, wann? Und wer bezahlt das?

Trauerbegleitung im Netz

Fast alles, was draußen in der Welt geschieht, findet auch im Internet statt. Ob Selbsthilfeforen, öffentliche Gedenkseiten oder von Fachleuten begleitete Seiten: Es gibt mittlerweile unzählige Angebote von sehr unterschiedlicher Qualität. Forschung sollte auch hier prüfen, inwieweit die Hilfesuche im Netz unterstützend im Trauerprozess ist oder eher verschlimmernd und verstärkend wirkt.

Profession und Ehrenamt

Die Auseinandersetzung darüber, was ehrenamtliche Mitarbeiterinnen aus Hospizdiensten leisten können und dürfen, wird immer schärfer geführt. Völlig nachvollziehbar geht es hier nicht nur um eine eventuelle höhere Qualifikation, sondern auch um Geld. Wenn Trauerbegleitung tatsächlich als Prävention von den Krankenkassen anerkannt werden sollte – und daran wird mit Druck gearbeitet – steigt die Konkurrenz zwischen den Anbietern. Wir sollten die Diskussion m. E. so führen, dass die eine Seite nicht die andere abwertet, sondern dass die Settings klar nach den Bedürfnissen der trauernden Menschen unterschieden werden.

Literatur:

– Burke, Doris (2002), Tod und Teufel, Beiträge zum Transaktionsanalytischen Symposion, Stuttgart
– Leidfaden (2016), Fachmagazin für Krisen, Leid und Trauer, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen
– METZ, Christian. Die vielen Gesichter der Trauer: Anregungen zum Umgang mit Trauer und Trauernden. Psychotherapie-Wissenschaft, [S.l.], v. 1, n. 3, p. 177-186, sep. 2011. ISSN 1664-9591. Verfügbar unter: <http://www.psychotherapie-wissenschaft.info/index.php/psy-wis/article/view/39/178>
– Müller, Heidi/Willmann, Hildegard (2016), Trauer: Forschung und Praxis verbinden, Edition Leidfaden, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen
– Paul, Chris (2011), Schuld I Macht I Sinn, Arbeitsbuch für die Begleitung von Schuldfragen im Trauerprozess, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh
– Rechenberg-Winter, Petra/Fischinger, Esther (2010), Kursbuch Systemische Trauerbegleitung, Vandenhoeck & Ruprecht, 2.Auflage, Göttingen
– Wissmann, Michael (2010), Projekt TrauerErleben: „Wirkung von Trauerbegleitung im Rahmen der emotionalen und sozialen Bewältigung von tiefgehenden und komplizierten Trauerprozessen“, Weingarten, www.projekt-trauerleben.de

weiterführende Literatur:
– Canacacis, Jorgos (2009), Ich begleite dich durch deine Trauer, Kreuzverlag, Freiburg im Breisgau
– Kachler, Roland (2014), Hypnosystemische Trauerbegleitung, Carl-Auer Verlag, Heidelberg
– Kachler, Roland (2005), Meine Trauer wird dich finden, Kreuz Verlag Freiburg im Breisgau
– Kast, Verena, (2015), 38. Auflage 2015 (Erstauflage 1982), Trauern, Phasen und Chancen des psychischen Prozesses, Kreuzverlag, Freiburg im Breisgau
– Kast, Verena, (2003), Aus Lebenskrisen werden Lebenschancen, Kreuzverlag. Freiburg im Breisgau
– Paul, Chris, (2011), Neue Wege in der Trauer- und Sterbebegleitung, Hintergründe und Erfahrungsberichte für die Praxis, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh
– Smeding, Ruthmarijke (2005), Trauer erschließen, Eine Tafel der Gezeiten, Hospiz Verlag, Esslingen
www.gute-trauer.de, H. Willmann, H. Müller, A. Aschenbrenner
www.bv-trauerbegleitung.de
www.trauerinstitut.de, Chris Paul

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